Barrierefreiheit aus einer Hand

Rudi Ullrich sitzt am Schreibtisch, er trägt Hemd und Kravatte.

Interview mit dem Leiter des Zentrums für Barrierefreiheit Rudi Ullrich

Die blista hat ihre Angebote im Bereich Barrierefreiheit jetzt im „Zentrum für Barrierefreiheit“ zusammengefasst. Welche Angebote sind das?

Das Spektrum ist sehr breit. Zum Zentrum für Barrierefreiheit gehört zum Beispiel die Deutsche Blinden-Bibliothek (DBB), die inzwischen ja nicht mehr nur von blinden und sehbehinderten Menschen, sondern auch von Menschen mit anderen Handicaps oder Legasthenie genutzt werden kann. Hier verleihen wir Braillebücher und fast 60.000 Hörbücher auf CD oder über den Download. Außerdem stellen wir in Kooperation mit der Bundesvereinigung von Eltern blinder und sehbehinderter Kinder (BEBSK) und dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) spezielle Lernmittel, wie zum Beispiel die „Taststraße zum Erlernen der Blindenschrift“, kostenlos zur Verfügung. In unserem Kompetenzzentrum für barrierefreie IT erstellen wir u. a. barrierefreie PDF-Dokumente, führen Schulungen durch, testen Homepages und beraten bei der Entwicklung barrierefreier Software. Unser Beratungsangebot bezieht sich aber nicht nur auf den medialen Bereich, sondern auch auf Fragen zur selbstständigen Orientierung, kontrastreichen Umweltgestaltung oder Entwicklung von Leit- und Informationssystemen. Natürlich fördern wir auch weiterhin das Erlernen der Punktschrift, produzieren Bücher und Zeitschriften genauso wie Visitenkarten, Wahlschablonen, Flyer oder Schilder. Eine besondere Bedeutung haben inzwischen taktil-farbige Kinderbücher und multimediale Lernpakete, insbesondere für den inklusiven naturwissenschaftlichen Unterricht.

Multimediales Lernpaket Physik mit Magnetsymbolen
Multimediales Lernpaket für den inklusiven Unterricht in Biologie

 

 

 

 

 

Wie kann man sich die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit in Sachen Barrierefreiheit konkret vorstellen?

Naja, nehmen wir mal ein Museum, eine Behörde oder eine Klinik. Man hat die Idee oder teilweise auch gesetzliche Vorgaben, sich inklusiv auszurichten oder Informationen barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Oft gibt es da sehr viel guten Willen, aber noch wenig Know-how. Bei uns haben Sie einen Ansprechpartner für die gesamte Bandbreite und wir erarbeiten mit Ihnen ein individuelles Gesamtkonzept.

Und wie läuft die Umsetzung solcher Konzepte dann konkret?

Oft werden Module unseres Konzeptes aus Kostengründen sukzessive oder auch nur teilweise umgesetzt. Manche Dinge machen wir selber, wie die Erstellung barrierefreier Dokumente oder die Produktion von Audioguides und Punktschriftmaterialien. Ansonsten begleiten wir zum Beispiel die Ausschreibung für Leitsysteme und übernehmen die Bauaufsicht oder die Qualitätskontrolle.

Welche Vorteile hat das für die Kundinnen und Kunden?

Sie bekommen alles aus einer Hand und vor allem können sie sicher sein, dass sie alles nach den neuesten Standards der DIN-Normen und gesetzlichen Vorgaben erhalten. Zudem arbeiten bei uns viele blinde und sehbehinderte Expertinnen und Experten. In unserer Abteilung sind mehr als 50 % der mitarbeitenden Menschen schwerbehindert. So stellen wir zum Beispiel sicher, dass barrierefreie Dokumente nicht nur technisch okay sind, sondern tatsächlich mit den Screenreadern und Vergrößerungstechnologien auch korrekt genutzt werden können.

Taktiles Modell zur Gedenkstätte Wannseekonferenz mit dem Originalgebäude im Hintergrund

Gibt es aktuell besonders spannende oder wichtige Aufträge?

Gerade haben wir die Neueröffnung der Gedenkstätte „Wannseekonferenz“ begleitet. Wir waren an der Konzeptentwicklung beteiligt und haben Modelle, Pläne und Audio-Informationen produziert. Für die Carl-Strehl-Schule produzieren wir gerade neue Bücher für den gemeinsamen Unterricht von blinden, sehbehinderten und sehenden Kindern für Deutsch, Englisch, Russisch und Mathematik. Die Nachfrage nach barrierefreien elektronischen Dokumenten hat stark zugenommen und rund um Corona haben wir kurzfristig viele Informationen in Braille, Audio und als barrierefreie PDF-Dateien erstellt.

An welchen Projekten und Zukunftsentwicklungen arbeiten sie zurzeit?

Wir arbeiten zurzeit parallel an vielen verschiedenen Entwicklungen, zum Teil intern, zum Teil in Kooperation mit Partnern. So sind wir zum Beispiel dabei, unsere Medienproduktion mithilfe der international entwickelten „Daisypipeline“ komplett umzustellen. Vereinfacht gesagt, sind das verschiedene Programmmodule, um aus einem Ursprungsdokument ziemlich automatisiert ein Buch in Punktschrift in Kurz- und Vollschrift, in Großdruck, als barrierefreies E-Book oder als Hörbuch mit synthetischer Sprache zu erstellen. Damit werden wir viel flexibler und es wird auch möglich, Bücher viel schneller zur Verfügung zu stellen. Daneben koordinieren wir das Projekt „Büchernot“. Hier werden mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung kurzfristig 6000 im Buchhandel verfügbare Hörbücher barrierefrei gemacht und zur kostenlosen Ausleihe zur Verfügung gestellt. Außerdem planen wir mit dem DBSV gerade ein Projekt zur besseren Nutzung der gängigen Kommunikationsplattformen wie Zoom etc. und wir befassen uns mit der sogenannten „Smart Mobilität“. Unter diesem Schlagwort geht es um intelligente und nachhaltige Verkehrskonzepte. Wir wollen dabei einen Beitrag leisten, dass die hier entstehenden Chancen für seheingeschränkte Verkehrsteilnehmende genutzt werden, aber auch die neu entstehenden Risiken beherrschbar bleiben. Momentan werden die Bedarfe der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmenden zusammengetragen und inhaltliche und technische Standards definiert, damit zukünftig zum Beispiel die Anforderung der Grünphase an Ampeln oder eines Busses an einer Bedarfshaltestelle mithilfe des Smartphones möglichst einfach und vor allem in allen Städten gleich funktioniert.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass wir unsere Innovationskraft nicht verlieren und dass wir endlich eine bessere Finanzierungsbasis bekommen.
 
Das Interview führte Thorsten Büchner.

Weitere Informationen: Zentrum für Barrierefreiheit, T. 06421 606-470, barrierefrei@blista.de