Projektwoche
Rotkäppchen einmal anders
In der diesjährigen Projektwoche gab es eine Schreibwerkstatt zum Thema "Märchenhaftes Marburg". Christoph Cornehl legte in seiner Auseinandersetzung mit dem Märchen Rotkäppchen ein bemerkenswertes Gedicht vor, das wir hier vorstellen möchten:
Rotkäppchen in Gedichtform
Es ist schon eine Weile her,
als diese wunderliche Mähr
vom holden Rotkäppchen geschah.
Sie war gar lieblich von Gestalt,
ein Sonnenschein für Jung und Alt
und süß für jeden, der sie sah.
Ein rotes Käppchen hat es auf,
allein, es war so stolz darauf,
dass es nichts sonst vergleichlich fand,
nichts Andres trug das Mädel mehr,
das Käppchen stand ihm gar so sehr,
dass man es nur Rotkäppchen nannt.
Nun traf es sich unmittelbar,
dass Oma krank und schwächlich war,
da sprach die Mutter: „Komm, nimm hier
den Korb mit Kuchen drin und Wein,
geh in den tiefen Wald hinein
zur Großmutter und bring ihn ihr.“
Zu bleiben auf dem rechten Pfad,
das war, worum sie sie noch bat,
und sich auch ja nicht zu verirr‘n.
„Und nimm dich vor dem Wolf in acht,
der frisst dich schneller als gedacht“,
sprach sie mit sorgenvoller Stirn.
So ging das Mädchen in den Wald,
und da geschah es, dass sie bald
traf auf den bösen Isegrim.
Sie dacht daran, ganz unverzagt,
was ihre Mutter ihr gesagt,
allein, sie fand ihn gar nicht schlimm.
„Ach, du allerliebstes Kind,
welch Wunder, dass ich dich hier find,
darf ich erfahr’n, wohin’s dich führt?“
So sprach der wilde Isegrim,
Güte und Wärme in der Stimm’,
aber in Wahrheit unberührt.
„Zur Großmutter zu ihrem Haus,
dort wohnt sie, tief im Walde draus,
ich bring der Kranken Speis‘ und Wein.“
„Siehst du die schönen Blumen steh’n,
magst du nicht einmal danach seh’n?
Sollen die nicht für Oma sein?“
Sie dachte: schaden kann es nicht,
Blumen bringen im Herzen Licht.
Und so verließ sie ihren Pfad,
von seiner Freundlichkeit betört,
blieb jede Warnung ungehört,
fernab von Mutters weisem Rat.
Dem Wolfe aber war es gleich,
nun hatte er sein Ziel erreicht,
weshalb er eilens weiter lief.
Die alte Oma war sein Ziel,
das ihm zum Fressen wohl gefiel,
er klopfte an die Tür und rief:
„Rotkäppchen, dein Großtöchterlein,
ich bring ’nen Korb mit Speis und Wein“,
so sprach der Wolf mit hoher Stimm’
„Komm nur herein, ich bin sehr schwach“,
Rotkäppchens kranke Oma sprach,
so tat der wilde Isegrim.
Es dauerte auch gar nicht lang,
als er die Oma schon verschlang,
nun zog er ihre Kleider an.
In Omas Bett verkroch er sich,
nun, Rotkäppchen, bald hab ich dich,
so dachte er, der schlimme Zahn.
Rotkäppchen kam nach kurzer Zeit,
trug Blumen voller Lieblichkeit,
sie klopfte an und wollt‘ hinein
und dabei war sie gar nicht bang,
denn mit vertrautem, heis'rem Klang
ließ ihre Oma sie herein.
Doch etwas stimmte nicht im Haus,
die Oma sah so seltsam aus,
alles an ihr wart viel zu groß.
Die Augen, Nase, Mund und Ohr’n,
sie hatten ihre Form verlor’n,
sie stutzte, was geschah hier bloß?
Doch ehe sie sich noch versah,
wart sie schon fort mit Haut und Haar
verschwunden in des Wolfes Schlund.
Nun legt der Wolf sich in das Bett,
ist nun erst richtig feist und fett,
schläft friedlich ein aus Herzensgrund.
Es kam vorbei ein Jägersmann,
der staunt: „Was die doch schnarchen kann!
Ich schaue besser mal hinein.
Womöglich geht es ihr nicht gut,
möchte wissen, was die Alte tut,
was mag ihr wohl geschehen sein?“
Als er im Bett den Lupus sah,
da sprach er: „Strolch, da bist du ja!
Jetzt geht’s dir an den Kragen!“
Er hatte eine Schere mit,
mit der er ihm den Wanst aufschnitt,
befreite sie aus Wolfens Magen.
Sie holten viele große Stein‘,
die taten sie in ihn hinein,
dass er den Magen sich verdarb,
denn als der Wolf aufstehen wollt‘,
ward vom Gewicht er überrollt
und so beschweret, dass er starb.
Da herrschte Frieden überall,
noch lang man sprach von diesem Fall,
Rotkäppchen tanzte voller Freud.
Und wenn sie nicht gestorben sind,
der Jäger, Großmutter und Kind,
dann, glaub’ ich, feiern sie noch heut.