Mein Weg zum Abitur
„An der blista hieß es Du schaffst das! Und: Ich habe es geschafft!“
Joscha Röder | Ich bin Joscha, 20, weiblich, Asperger-Autistin, seh- und gehbehindert und trotzdem ein Mensch. Vor Kindergarten und Einschulung stufte mich das Gesundheitsamt in Bonn als, Zitat, "aufgrund der komplexen Behinderungen als generell nicht regelbeschulbar" ein - und das, obwohl ich schon sehr gut lesen und schreiben und Englisch konnte. Und das, obwohl 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention endlich auch in Deutschland ratifiziert worden war, die das Recht auf Teilhabe am sogenannten normalen Leben in einer Vielzahl von Paragraphen formuliert.
Anfang Juli habe ich mein Zeugnis zur Allgemeinen Hochschulreife, wohlgemerkt eines nach den generellen Regeln des hessischen Schulministeriums, erhalten.
An der inklusiven Deutschen Blindenstudienanstalt Carl-Strehl-Schule, genannt blista, haben sich unzählig viele Menschen für mich stark gemacht, Lehrer*innen, Betreuer*innen, Begleiter*innen, auch Mitschüler*innen und Mitbewohner* innen der Wohngruppe, egal ob männlich oder weiblich oder divers, behindert oder nicht behindert. Sie haben anstandslos akzeptiert, dass ich in vielen Punkten anders bin, dass ich Stärken und Schwächen habe, wie jeder andere auch. Nicht wie es in den Diagnosen meiner Kindheit steht, fett, kursiv und unterstrichen: Dass ich "unheilbar tiefgreifend entwicklungsGESTÖRT" bin, an einem "Syndrom leide", sondern zugegeben viel Unterstützung und Hilfe brauche, um meinen Weg im Leben zu finden.
An der blista habe ich diese bekommen, das endlose Kämpfen mit Ämtern und Behörden beiseite. Dafür will ich Danke sagen, und zwar ALLEN dort, und zwar herzlich!
Es gab Schulfächer, wo auch schon mal 0 Punkte drunter standen, es gab Fächer, wo ich 15 Punkte hatte. Niemals hieß es: Du bist ungenügend! Setzen, sechs! Du genügst uns nicht! Sondern: Du schaffst das! Achtung jetzt kommt ein Witz: Alle haben großen Wert darauf gelegt, mich nicht in meiner tiefgreifenden Entwicklung zu stören. Darunter habe ich nicht leiden müssen oder gelitten, im Gegenteil.
Was Menschen großes Leid zufügt ist Missachtung; was bei physischem und psychischem Anderssein hilft, ist Anerkennung, Achtsamkeit und Akzeptanz. Diese drei Vokabeln sollten sich alle Menschen einprägen, am besten in Großbuchstaben. Sie sind Zauberworte. ANERKENNUNG UND ACHTSAMKEIT UND AKZEPTANZ.
Die Fachmanager, Sachbearbeiter und Bedarfsermittler der Behörden und Ämter und auch Kranken- und Pflegekassen, die unsere Inklusionsrechte und Bedürfnisse nach vielen Paragraphen überprüfen, vielleicht sollten Sie mal darüber nachdenken, dass Menschen mit Behinderungen keine Sache sind, nicht gemanagt werden wollen oder müssen, und wer alljährlich ermitteln möchte, wäre im Berufsfeld Kripo vielleicht besser aufgehoben. Oder Sie könnten sich einfach bewusst machen, dass es in vielleicht gar nicht so weit entfernter Zukunft auch für Sie selbst Zeiten geben könnte, wo Sie auf Hilfe oder Hilfsmittel oder Unterstützung angewiesen sein könnten.
An der blista lebt man ihnen vor, wie das geht, Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu fördern und zu fordern. Dort können Menschen zur regulären Schule gehen, Menschen, die neben ihren Einschränkungen keine weiteren Einschränkungen gebrauchen können. Dass ich im Wintersemester die Chance haben werde, mit einem Studium zu beginnen, habe ich dem Engagement der blista in Marburg zu verdanken. Was ich hiermit aufrichtig tue!