Buchtipps

Das Foto zeigt das Cover des Buchtipps: Niemals in weißer Schrift auf schwarzem Grund und gelber Brailleschrift

Thriller

Winfried Thiessen* | Andreas Pflüger läutet mit seinem Thriller Niemals die zweite Runde um die bundesdeutsche Geheimwaffe Jenny Aaron ein. Als Mitglied einer Spezialeinheit bekommt sie es auch diesmal nur mit der Crème de la Crème der Topganoven dieser Welt zu tun – also mit so wirklich richtig schweren Jungs, die um des Profites willen auch vor Terroranschlägen nicht zurückschrecken würden. Niemals ist nach Endgültig der zweite Band einer geplanten Thrillertrilogie, in der sich alles um Jenny Aaron, Tochter eines legendären GSG 9-Kommandanten, dreht. Fünf Jahre ist es nun schon her, dass Aaron während eines Kampfeinsatzes durch eine Kugel, die ihren Sehnerv verletzte, ihr Augenlicht verlor. Das definitive Ende als Polizistin in einer Sondereinheit? Nicht für Jenny Aaron. Mit eiserner Disziplin, hartem Training und etwas Glück findet sie ihren Weg zurück in ihre alte Truppe. Dort entwickelt sie sich sehr schnell zur Lieblingsgegnerin aller Superganoven unseres Planeten. In Niemals verschlägt es sie nach Marokko, wo sie sich um ihr Erbe – satte zwei Milliarden Dollar – kümmern soll, das ihr von einem ihrer Todfeinde hinterlassen wurde, allerdings nicht frei von Hintergedanken!

Panik überfiel mich gleich auf den ersten Seiten des Thrillers, als Andreas Pflüger kurz andeutete, dass der Sehnerv von Jenny Aaron noch intakt sei und es eine Möglichkeit gäbe, ihre Sehfähigkeit wiederherzustellen, – Panik weil, dann wären die Gauner von vornherein chancenlos gegen das deutsche Fräuleinwunder, und gähnende Langeweile würde sich bei der Bekämpfung der Unterwelt breitmachen. Jetzt kommen wir – Gott sei Dank – zum aber: Aber dafür hätte Jenny Aaron deutlich kürzer treten, quasi ihren Job an den Nagel hängen müssen, um ihren Adrenalinlevel im Blut möglichst niedrig zu halten und ihn nicht, wie üblich, permanent bis zum Anschlag hochzujagen, denn das wäre dem Heilungsprozess äußerst abträglich. Selbstredend unmöglich für unsere Actionheldin, sich auf diesen Deal einzulassen, vor allem da sich ihr neuer Gegner, der Broker, schon bald als ziemlich ebenbürtig entpuppt. Als dann der Bösewicht ihr auch noch steckt, dass er es war, der ihren Vater töten ließ, ist es mit Jennys Contenance vorbei und es kommt bei ihr zum Adrenalindammbruch, weil – so was nimmt Jenny Aaron trotz aller Professionalität sehr persönlich. Also – zum Glück – geschissen aufs Adrenalin.

Natürlich sind die Topterroristen in Pfügers Thrillerwelt keine ungehobelten Klötze. Im Gegenteil, sie sind kultiviert, charmant und intelligent – so dass man sie fast liebgewinnen könnte – aber nur fast. Pflüger lässt schon wie im ersten Band mit Köpfchen morden und während die Leichen Jenny Aarons Weg pflastern, entspinnt sich ein tödliches Katz- und Mausspiel. Kurz: Mit Niemals ist es Pflüger erneut gelungen, ein spannungsgeladenes und doch literarisch anspruchsvolles Actionthrillerfeuerwerk in Buchform zu präsentieren, dass für meinen Geschmack nur ganz leicht gegenüber dem ersten Band abfällt. Und Pflüger begeht auch nicht den Fehler, bloß mit dem Thema Blindheit herumzukokettieren – nein, er exerziert es förmlich durch. Wer sich den „Spaß“ nicht verderben will, sollte keinesfalls den zweiten Band vor dem ersten lesen!

In der Fernsehzeitschrift TV-Spielfilm wurde vor einiger Zeit gefragt: Wann kommt Jane Bond? Aber sollte die Frage nicht eher lauten: Wann kommt Jenny Aaron ins Kino? Deutschland als ambitionierte Nation sollte es sich nicht länger leisten, die Bekämpfung von Superschurken im Kino Engländern und Amerikanern zu überlassen. Unsere Nation muss sich ihrer gewachsenen Bedeutung in der Welt bewusst werden und sich endlich ihrer Verantwortung stellen. Aaron! Jenny Aaron! Einen Eierlikör – gerührt und nicht geschüttelt – Stößchen!!! Unterwegs im Auftrag von Frank Steinmeier. Deutsche Interessen müssen endlich auch auf der Leinwand verteidigt werden.

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Jugendbuch

Mit 16 Jahren zieht es den geburtsblinden William vom Blindeninternat hinaus auf eine Regelschule. Dort unter Sehenden will er sich beweisen, zeigen was in ihm steckt und vor allem nicht länger in einer „Blinden-blase“ leben. William ist eloquent, schlagfertig und weiß, wie man die Sehenden mit ihren Hilfsangeboten auf die eigenen Bedürfnisse hin ausrichtet. Damit haben wir das Setting für einen Highschoolroman inklusive Romanze. Liebe und der erste Blick von Josh Sundquist ist ein uramerikanisches Jugendbuch, das in einer etwas zu aalglatten, gehobenen Mittelschicht spielt. Die jugendlichen Protagonisten agieren mit ihren 16 Jahren etwas überreif für ihr Alter, die Eltern schlagen sich als Professoren oder Ärzte durchs Leben. Der wohlbehütete Rahmen sorgt dann auch dafür, dass es in der Geschichte höchstens mal problematisch – neudeutsch: herausfordernd – aber nicht wirklich dramatisch wird. William findet schnell Anschluss an seine Peergroup und verguckt sich sogleich in ein Mädel des Highschool-Quizteams. Da er blind ist, verschweigen ihm seine neuen Freunde, aber auch seine Eltern, dass seine Angebetete eine sie entstellende Gesichtspigmentierung hat, was gegen Ende des Romans zu problematisch-dramatischen Turbulenzen führen wird. Aber zunächst alles kein Problem, denn noch ist William blind und zufrieden mit sich und seinem Leben. Dann jedoch bekommt er die Chance, durch eine ganz neue Operationsmethode wieder sehen zu können.

Wer sich eingehend über die vielen Facetten des Themas Blindheit informieren will, wer über Dinge wie Braillezeilen, Tandem, Blindenstock, Orientierung, Führtechniken, Umgang Sehender mit Blinden, über die Frage: Wie träumen Blinde? mehr erfahren und lernen möchte, der bekommt das, ob er will oder nicht, auf den ersten hundert Seiten vermittelt – ein Jugendbuch ist eben nicht nur Entertainment, der Heranwachsende soll ja auch was lernen. Danach stürzt sich Josh Sundquist auf das Thema: welche psychischen Folgen ein erfolgreicher operativer Eingriff, der einem geburtsblinden jungen Mann das Augenlicht wieder geben würde, für selbigen haben könnte und was er dann wirklich zu sehen bekommen würde, wobei sich der Autor bei diesem Thema größere künstlerische Freiheiten erlaubt hat – der Liebesromanze wegen. Zu Recherchezwecken hat Sundquist sich ordentlich bei der neueren Blindenliteratur bedient und mit seiner Auswahl ein gutes Händchen bewiesen. Autoren wie Oliver Sacks, Robert Kurson, Ryan Knighton, Erik Weihenmayer, John M. Hull und Stephen Kuuisisto geben sich als Hintergrundinformanten in diesem Buch ein munteres Stelldichein.
Liebe und der erste Blick ist routiniert runtergeschrieben, informativ wie ein gutes Referat – birgt keine großen Überraschungen, macht hier und da nachdenklich und bringt den lesenden Jugendlichen auf keine dummen Gedanken – ist doch auch was!

Neuauflage alter Titel

März 2018: Im Dunkeln sehen – John M. Hull – neu: mit Vorwort von Oliver Sacks.
John M. Hulls Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen über sein Leben vor und nach dem vollständigen Verlust seiner Sehfähigkeit ist ein Klassiker. Hull ist wohl einer der bekanntesten RPler (Retinopathia Pigmentosa, eine Netzhautdegeneration, die oft zur Erblindung führt). 1995 erstmals auf Deutsch erschienen, war Im Dunkeln sehen das erste Buch über Sehbehinderung und Erblindung, das ich gelesen habe. Hull gibt dem Leser tiefe Einblicke in sein Denken und Empfinden während der ersten Zeit nach seiner völligen Erblindung. Seine Aufzeichnungen beschreiben den Verlust seiner Identität als Sehender und das Finden einer neuen Identität als Blinder. Immer wiederkehrende Träume helfen ihm bei seinem langsamen und schmerzhaften Abschied vom Licht und seiner Hinwendung zur Dunkelheit, die ihm bald gar nicht mehr so dunkel erscheinen will. Seine Eindrücke und Erlebnisse als blinder Frischling sind mit vielen skurrilen und lustigen Anekdoten gespickt. Das Buch ist auch heute noch genauso aktuell und lesenswert wie im Erscheinungsjahr.

April 2018: Ich fühlte den Himmel – Erik Weihenmayer
Ich fühlte den Himmel war mein erstes Buch, das ich 2002 in der blista news besprochen habe.
Auch Weihenmayer ist ein RPler, der im Gegensatz zu Hull (Erblindung als Erwachsener) bereits mit 13 Jahren erblindete. Im ersten Teil des Buches erzählt er anekdoten-reich, wie er sich mit aller Macht gegen seine Erblindung auflehnte und seine Wut gegen Lehrer und Blindenstöcke richtete. Und schließlich erzählt Weihenmayer die Geschichte eines jungen Mannes, der seine ganze Kraft dazu nutzt, die Grenzen, die ihm sein Blindsein setzt, auszutesten und auszuweiten, indem er mit dem Klettern anfing – sein Ziel: den höchsten Berg eines jedes Kontinents zu erklimmen. Dieser Teil des Buches ist ebenfalls nicht schlecht, reicht aber an den dichten ersten Teil nicht ganz heran. Insgesamt aber ein sehr lesenswertes Buch.
[*Pädagogischer Mitarbeiter im Internat]

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Und weil es so schön war, von meiner Gastrezensentin und Kollegin Kerstin Grebe-Oßwald, noch mal 500 Seiten:

Liebesroman
Der ehemalige Feuerwehrmann und jetzige Jurastudent Nate Foster hat beide Seiten des Lebens kennengelernt. Er hat Leben gerettet, aber auch viele Menschen sterben sehen. Um weiteren seelischen Verletzungen zu entgehen, hat er sich einen Schutzpanzer angelegt. Durch Zufall lernt er die lebensfrohe Lexi Davis kennen, die ihre ganz eigene Sicht auf das Leben hat, denn Lexi ist blind. Nates Panzer bekommt erste Risse, und er lernt durch Lexi, das Leben mit anderen Augen zu sehen. Doch auch Lexi hat ihr Päckchen zu tragen und ist vom Schicksal nicht immer gut behandelt worden. Umso bewundernswerter ist ihre Fähigkeit, trotz Rückschlägen immer wieder neuen Lebensmut zu finden. Lexi und Nate können sich aus Angst, wieder verletzt zu werden, nur schwer dem anderen öffnen. Als sie es versuchen, erleben sie immer wieder Rückschläge und geraten ins Zweifeln, lernen jedoch auch die positiven Seiten des Lebens und der Liebe kennen. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Nate und Lexi geschildert, sodass man ihre Gedanken, Ängste und Sorgen, auch und insbesondere die der blinden Protagonistin, gut nachvollziehen kann. Wenn du mich sehen könntest von Jessica Winter ist mehr als ein oberflächlicher Liebesroman. Die Hauptcharaktere werden tiefgründig und authentisch mit all ihren Nöten und Ängsten geschildert, sodass eine Lebendigkeit entfacht wird, die den Leser in den Bann zieht und ihn an den Höhen und Tiefen der Protagonisten teilnehmen lässt.