„Immer den richtigen Ton“
blista verabschiedet Schulleiter Jochen Lembke in den Ruhestand
Thorsten Büchner* „Nirgends wird so viel gelogen wie auf Verabschiedungsfeiern und Beerdigungen. Außer heute. Heute stimmt alles“, zog Jochen Lembke mit seiner trockenen, norddeutschen Art selbst das Fazit seiner Verabschiedungsfeier. Viele Weggefährten aus seinen 37 Jahren blista, die Schülerinnen und Schüler „seiner“ Carl-Strehl-Schule und Freunde und Familie waren in die bis auf den letzten Platz gefüllte Sporthalle der blista gekommen, um dem langjährigen Schulleiter ihre Wertschätzung und Dankbarkeit zu bekunden. Mit einer getragenen Verabschiedungsfeier hatten diese 90 Minuten jedoch nichts gemein. Bisweilen fühlte man sich wie in einem Fußballstadion. Da traten Cheerleader auf, die das Publikum mit „Jochen, Jochen“-Sprechchören anheizten, die dominierenden Farben waren Blau, Weiß und Schwarz. Es wurde viel mit Fußballmetaphern gearbeitet. Grund dafür ist die bedingungslose Liebe von Jochen Lembke zum Hamburger SV. Die blista wollte es ihrem Schulleiter zum Abschied so heimelig wie möglich machen.
blista-Schüler Marvin Berner führte zusammen mit Gerd Rust, einem intimen Kenner des Wirkens von Jochen Lembke, und Karin Edtmüller, der stellvertretenden Schulleiterin, gekonnt und kurzweilig durchs Programm.
Claus Duncker, blista-Direktor und über viele Jahre zusammen mit Jochen Lembke „ein zumindest in der Kreisliga“ gefürchtetes Tennis-Doppel, würdigte zu Beginn der Veranstaltung die Fähigkeiten und das Einfühlungsvermögen seines Kollegen. „Du hast immer den richtigen Ton getroffen, ob im Umgang mit den Schülern oder deinen Kollegen.“ Außerdem habe Lembke das „Management by walking“ erfunden, führte Duncker aus. Er kenne niemanden, der so gekonnt durch gezielte Rundgänge über den blista-Campus, hier und da stehenbleibt, Gespräche führt, Probleme anspricht und an Lösungen arbeitet. Lembke sei „ein engagierter Streiter für die gerechten Teilhabechancen von Blinden und Sehbehinderten“. Mit niemandem habe er so eng zusammengearbeitet wie mit Jochen Lembke, der „fast so etwas wie ein großer Bruder“ geworden sei. Besondere Ironie sei es, dass nun ausgerechnet er (Duncker) bei Lembkes Verabschiedungsfeier spreche. Damals, als Claus Duncker 1992 zum Vorstellungsgespräch an die Carl-Strehl-Schule kam, saß ihm der damalige stellvertretende Schulleiter Jochen Lembke gegenüber und machte ihm klar, dass „Sie sich erstmal nur auf ein Jahr blista einstellen können“, da Duncker zunächst nur einen befristeten Vertrag erhielt. „So ist das mit Prognosen.“
Begleitet wurde die Feier durch den Lehrerchor, bei dem, wenn man genau hinhört, stets die kräftige Stimme von Jochen Lembke herauszuhören war. Mit Liedern aus Lembkes norddeutscher Heimat entführten die „Päd Boys“ das andächtig lauschende Publikum auf hohe See und an die Küste Schleswig-Holsteins.
Für Überraschungen sorgte der Leiter des Staatlichen Schulamtes Marburg, Ulrich Müller, mit seiner Laudatio. Müller zitierte aus diversen Zeugnissen und Beurteilungen. So entdeckte Müller beispielsweise, dass im Abiturzeugnis unter dem Stichwort „Chor“ lediglich „teilgenommen“ stand, während bei „Theater-AG“ „sehr gut“ zu finden war. Neben diesen launigen Bemerkungen brachte Müller seine tief empfundene Bewunderung für das Wirken von Jochen Lembke zum Ausdruck. Ihn habe es sehr beeindruckt, dass immer, wenn er Lembke bei blista-Besuchen begleitete, der Schulleiter jeden Schüler mit Namen kannte und wusste, was die Schüler gerade aktuell bewegt. Darauf angesprochen habe Lembke nur gesagt: „Das ist doch eine meiner zentralsten Aufgaben als Schulleiter. Zu wissen, womit sich meine Schüler gerade beschäftigen und wie es ihnen geht.“
Nach weiteren, respektvollen und – durchaus – humorigen Bemerkungen schritt Müller dann zur Tat und bat den „zukünftigen Pensionär“ auf die Bühne, um ihm die „Entlassungsurkunde zur Versetzung in den Ruhestand“, verbunden mit dem Dank des Landes Hessen, auszuhändigen.
Die Schüler der Klasse 5, unterstützt durch ihre Kollegen aus der Jahrgangsstufe 8, untermauerten den Anlass der Veranstaltung mit ihrem selbst getexteten Lied „Rente ist schön!“.
Nachdem Gerd Rust, zusammen mit Karin Edtmüller, Babsi Zink und Olga Fredericks, einen Sketch zum Besten gaben, der auf augenzwinkernde Weise die Gemeinsamkeiten eines Schulleiters mit einem Sportdirektor eines Fußballvereins betonten („Das Wichtigste ist die gute Zusammenstellung der Mannschaft!“), wobei Rust in die Rolle von Jochen Lembke schlüpfte, verlasen drei blista-Schüler Grußbotschaften. Der Fanbeauftragte des HSV, der ehemalige Jugendtrainer von Jochen Lembke aus seiner Zeit beim TSV Todesfelde und – eine ganz besondere Überraschung – die Fußballikone „Uns Uwe“ Seeler ließen es sich nicht nehmen, Jochen Lembke alles Gute für die Zukunft zu wünschen. Die Schülervertretung überreichte ein Geschenk und bedankte sich bei „unserem coolen Schulleiter“ für die gute Zusammenarbeit. Zwischendurch konnten sich die Festgäste vom kabarettistischen Talent Jochen Lembkes überzeugen. Videoimpressionen aus mehreren Programmen des legendären Lehrerkabaretts aus den 1980er Jahren ließen erahnen, mit welch vielfältigen Talenten Jochen Lembke gesegnet ist. So konnte ihn das staunende Publikum als Tänzerin oder – ganz der Pädagoge – als resoluten Erdkundelehrer erleben.
Künstlerisch verabschiedeten sich auch die blista-Theatergruppen, die Lembke während seiner zehn Jahre als Schulleiter stets unterstützt hat, indem sie in tänzerischen Choreographien Abschiedsgesten wie Winken oder Handküsse in Richtung des allmählich „bewegten“ Schulleiters warfen.
Doch der Höhepunkt der überaus kurzweiligen und sympathischen Veranstaltung sollte vom zu Ehrenden selbst beigesteuert werden. Ganz zum Schluss griff Jochen Lembke zum Mikrofon, bedankte sich in bewegenden Worten bei allen, die ihn in den letzten Jahren und Jahrzehnten unterstützt haben, besonders bei seiner Frau Inga. Begleitet von der Lehrerband, die vorher bereits mit einem Schlagberg-Song auf die Melodie von „Blueberry Hill“ begeistern konnte, sang Jochen Lembke inbrünstig und gefühlvoll eine Hymne auf seine beiden großen Lieben: Hamburg und Marburg. Mit diesen bewegenden Klängen ging eine lockere, aber würdevolle Veranstaltung zu Ende. Nicht ohne stehende Ovationen für einen begnadeten Schulleiter, der neben fundierter Fachlichkeit und Menschlichkeit auch über eine gehörige Portion Witz und Temperament verfügt. Beim anschließenden Umtrunk trugen sich viele der Festgäste in das liebevoll gestaltete Erinnerungsbuch für Jochen Lembke ein und standen noch lange mit dem frisch gebackenen Rentner zusammen.
[*Öffentlichkeitsarbeit, Fotos: Dr. Imke Troltenier]