Ein spannendes und inklusives Praktikum in der Meeresforschung

Erik steht mit seinem Langstock vor einem großen Logo des GEOMAR
Erik vor einem großen Logo des GEOMAR

Im Rahmen der BOSS-Tage hatte Erik aus der 12. Klasse die Möglichkeit, ein ganz besonderes Praktikum zu absolvieren. Zwei Wochen lang tauchte er in die Welt der Meeresforschung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ein – ein Bereich, der für Menschen mit Blindheit bislang kaum erschlossen ist. Dank der Unterstützung engagierter Wissenschaftler*innen erhielt er spannende Einblicke in verschiedene Forschungsfelder, erkundete Möglichkeiten der Barrierefreiheit in der Wissenschaft und sammelte wertvolle Erfahrungen für seine Zukunftsplanung. Wir freuen uns, dass Erik, Madison und Frau Dr. Quack diesen inspirierenden Bericht mit uns teilen!

Erik sitzt mit einer Schutzbrille vor Laborgeräten
Forschung hautnah im Labor

Menschen mit Blindheit arbeiten erfolgreich am Computer, beherrschen das Programmieren und sind in zahlreichen Berufen, einschließlich der Wissenschaft, tätig. Vielleicht werden sie schon bald auch in der Ozeanforschung am GEOMAR vertreten sein. Im Januar 2025 hatte ich die Freude, die beiden hoch motivierten, engagierten und talentierten Schüler*innen Madison und Erik während ihres zweiwöchigen Praktikums zu betreuen. Beide teilen eine große Begeisterung für die Meereswissenschaften und denken über eine berufliche Zukunft in diesem Bereich nach. Ein vielfältiges und spannendes Programm ermöglichte es ihnen, durch die Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen wertvolle Einblicke in unterschiedliche Forschungsfelder zu gewinnen. Unseren herzlichen Dank an alle Beteiligten für Eure Zeit und Eure Ideen! Dabei haben wir nicht nur Barrieren identifiziert, sondern auch Entwicklungsmöglichkeiten erkundet, um Menschen mit Blindheit den Einstieg in die Wissenschaft zu erleichtern. Während Erik selbst blind ist und aus erster Hand von seinen Erfahrungen berichten konnte, zeigte sich Madison besonders interessiert daran, wie sich Wissenschaft für Menschen mit Blindheit zugänglicher gestalten lässt. Gleichzeitig sehen wir großes Potenzial für Forschung und Projekte in den verschiedenen Disziplinen der Ozeanforschung, um diese noch besser mit blinden Wissenschaftler* innen in Einklang zu bringen.

Erik neben dem Modell des autonomen Unterwasserfahrzeuges ABYSS, ein ca. 3 m langes gelbes, torpedoförmiges U-Boot.
Faszination Tiefsee: Das autonome, gelbe Unterwasserfahrzeug ABYSS zum Ertasten und Erleben

Das Praktikum begann mit einer Orientierung auf dem Forschungsschiff "Littorina" und der Entnahme von Wasserproben mithilfe eines Kranzwasserschöpfers. Madison hatte die Gelegenheit, zweimal mit dem Forschungsschiff in die Kieler Förde hinauszufahren und aktiv an der Probenahme teilzunehmen. Erik hingegen konnte aufgrund der strengen Sicherheitsvorschriften leider nicht mitfahren. Blinde und sehbehinderte Menschen dürfen nicht als aktive Besatzungsmitglieder zur See fahren, da viele Tätigkeiten an Bord eine visuelle Wahrnehmung erfordern. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Menschen mir Blindheit als Forschungsteilnehmer*innen an Bord gehen könnten, erfordert weitere Untersuchungen. Eine mögliche Teilnahme hängt sicherlich von der jeweiligen Forschungsmission, den Sicherheitsvorschriften und den vorhandenen Unterstützungsmaßnahmen ab. Unsere Überlegungen dazu: Da Forschungsschiffe nicht speziell für Menschen mit Behinderungen ausgestattet sind, stellt die Mobilität an Bord eine Herausforderung dar. Hier ließen sich durch barrierefreie Anpassungen sowie die Begleitung durch eine Assistenzperson, die bei spezifischen Aufgaben und der Orientierung unterstützt, Verbesserungen erzielen. Entscheidend ist zudem die Sicherheit auf See – alle Teilnehmenden müssen im Notfall angemessen reagieren können. Ein speziell auf Menschen mit Blindheit zugeschnittenes Sicherheitstraining könnte hier zur Lösung der Barrierefreiheit beitragen. Darüber hinaus kann eine wissenschaftliche Expedition inklusiv gestaltet werden, indem gezielte Unterstützung für Menschen mit Behinderungen bereitgestellt wird. Bereits jetzt gibt es Berichte über blinde Wissenschaftler*innen, die an akustischen Meeresforschungsprojekten mitgewirkt haben, akustische Daten analysieren und taktile Messgeräte nutzen. In Fachbereichen wie der Ozeanografie, den Geowissenschaften und der Biologie gibt es Tätigkeiten, die auch ohne visuelle Wahrnehmung auf einem Forschungsschiff erfolgreich ausgeführt werden können.

Erik an Bord des Forschungsschiffs Littorina
Einblick in das Steuerhaus: Erik an Bord des Forschungsschiffs Littorina

Unser Fazit: Mit sorgfältiger Planung und geeigneten Maßnahmen ist Inklusion in der seegehenden Meeresforschung durchaus möglich. Während Madison zur See fuhr, haben Erik, seine Begleitperson und ich im Labor die Emissionen halogenierter Kohlenwasserstoffe aus Sargassum-Algen untersucht. Dabei bediente Erik das Gaschromatografie-Massenspektrometer (GC/MS) und gemeinsam werteten wir die Forschungsergebnisse aus. Nach ihrer Rückkehr hatte auch Madison die Gelegenheit, mit dem Massenpektrometer zu arbeiten und weitere Analysen durchzuführen. Wir erhielten viele spannende Einblicke in andere chemische Analyseverfahren und auch in die Naturstoffchemie, wo Arzneimittel aus Meeresorganismen erforscht werden. Darüber hinaus erstreckte sich unser thematisches Spektrum über eine Vielzahl faszinierender Forschungsbereiche: von der Dynamik des Erdinneren, der Plattentektonik, Seismologie und dem Vulkanismus, über mineralische Rohstoffe der Tiefsee und Munitionsaltlasten am Meeresboden bis hin zu biogeochemischen Kreisläufen in der Wassersäule.

Frau Dr. Quack und Erik ertasten den taktilen Globus
Frau Dr. Quack und Erik ertasten den taktilen Globus

Dirk Nürnberg aus der Paläoozeanografie erklärte uns die Temperaturentwicklung der Erdgeschichte. Erik erforschte das Modell des autonomen Unterwasserfahrzeuges "ABYSS" und auch der profilierte, taktile Globus fand unsere Begeisterung. Auch die Zirkulation der Ozeane, verschiedene Mess- und Darstellungsmethoden, Ozeanmodelle, Paläoozeanographie, Klimavariabilität und Ozeanversauerung standen auf dem Programm. Zudem befassten wir uns mit Ostseefischen, Quallen und Nahrungsnetzen, der Bürgerbeteiligung in der Ozeanbeobachtung, zum Beispiel auf Segelbooten, der Erforschung der Atmosphäre sowie mit dem Forschungsdatenmanagement und dem marinen Bibliothekswesen. Abgerundet wurde das Praktikum durch die Besichtigung von Geräten zur Tiefseeforschung, des Schülerlabors und der interaktiven Ozeanausstellung "SEALEVEL". Darüber hinaus erhielten die Schüler*innen spannende Einblicke in den Medienalltag des GEOMAR – inklusive eines Drehtags für Madison – sowie in die wissenschaftliche Arbeit an Publikationen und Forschungsanträgen.

Ein besonders wertvoller Programmpunkt war der Besuch in der Zentralen Studienberatung der Christian-Albrechts- Universität (CAU). Die Beauftragte für Studierende mit Behinderung aus dem Geschäftsbereich Qualitätsentwicklung beantwortete viele Fragen zur Studien- und Berufsorientierung sowie zur Barrierefreiheit der Universität. Erfreulicherweise wird derzeit einiges unternommen, um die CAU – auch in der Forschung – inklusionsfreundlicher zu gestalten. Es wurde ausdrücklich betont, dass Wissenschaft und Behinderung keineswegs im Widerspruch stehen, sondern aktiv miteinander vereinbar gemacht werden sollen. Diese ermutigende Botschaft stärkte insbesondere Erik darin, sich nicht von vermeintlichen Hürden abschrecken zu lassen und einen Weg in die Wissenschaft ernsthaft in Betracht zu ziehen. Letztlich, so wurde betont, hängt vieles vom direkten Umfeld ab – und wo ein Wille ist, fände sich oft ein Weg.

Beide Schüler*innen gewannen somit einen umfassenden Einblick in die Forschungsarbeit am GEOMAR und ihre Studienmöglichkeiten an der CAU. Im Studium können Menschen mit Blindheit auf eine Vielzahl technischer Hilfsmittel und Unterstützungsangebote zurückgreifen, die ihnen ein computergestütztes Lernen und Forschen ermöglichen. Dazu gehören akustische Ausgaben von Bildschirminhalten, digitale Dokumente in Brailleschrift, Profildrucker sowie taktile Weltkarten und weitere barrierefreie Unterrichtsmaterialien. Die Entwicklung barrierefreier Technologien verbessert kontinuierlich die Zugänglichkeit von Computern für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung. Besonders das Programmieren lässt sich gut an ihre Bedürfnisse anpassen, da es stark textbasiert ist und viele Entwicklungsumgebungen barrierefrei gestaltet werden können. Zudem erleichtern persönliche Assistenzen, taktile Leitsysteme, barrierefreie Prüfungen und offizielle Nachteilsausgleiche den akademischen Weg. Durch die stetige Weiterentwicklung von Technologien und Unterstützungsangeboten können sich blinde Studierende zunehmend auf ihren akademischen Erfolg konzentrieren.

Es bleibt zu hoffen, dass sich beide Schüler*innen den Herausforderungen eines naturwissenschaftlichen Studiums stellen und ihren Weg in die Ozeanforschung finden. Für Erik wird dieser Weg mit größeren Hürden verbunden sein, doch ich bin überzeugt, dass seine Perspektive, seine Herangehensweise und seine besonderen Stärken die Meeresforschung um wertvolle kreative Problemlösungsansätze bereichern werden. Für ihre zukünftigen Erfolge werden sie weiterhin Unterstützung benötigen – doch zunächst wünsche ich beiden viel Erfolg in der Schule und für ihr Abitur!

Erik Amelang, Marburg

Madison Klatt, Oberhausen

Dr. Birgit Quack, GEOMAR

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