Buchtipps

Inez De Florio-Hansen: Sehen mit allen Sinnen/Mein Weg aus der Blindheit

Buchcover von Inez De Florio-Hansen, Sehen mit allen Sinnen. Abgebildet ist ein Kopfumriss im Profil mit eingezeichneten Hirnarealen für die verschiedenen Sinnesmodalitäten.

Inez De Florio-Hansen, Jahrgang 1943, ist seit ihrer Geburt hochgradig sehbehindert. 1991, im Alter von 48 Jahren, bekommt sie ihr Augenlicht durch eine Operation zurück. Doch bevor sie sich für diese Ope­ration entscheiden wird, ist es ihr zunächst ein Bedürfnis, das Für und Wider des Wie­der-Sehen-Könnens für Menschen mit einer langen, starken Seheinschränkung abzuwägen. Dabei fällt ihr Blick auf die zentrale Rolle der anderen Sinne des Menschen. Sie setzt sich auch mit der Be­deutung des Nicht-Sehen-Könnens bzw. des Wieder-Sehen-Könnens für die Persön­lichkeitsentwicklung und die Psyche auseinander.

Die Option „Wieder-sehen-Können“ ist für Inez De Florio-Hansen mit dem Risiko verbunden, den winzigen Sehrest, der ihr noch geblieben und ihr z. B. bei der Ori­entierung sehr dienlich ist, zu verlieren. Dieses Risiko will abgewogen werden. Auch versucht sie sich darüber Klarheit zu verschaffen, wie sie sich das „Wieder-se­hen-Können“ vorzustellen hat. Andere Menschen, die sich schon mal in einer ähnlichen Situation befunden haben und die sie dazu hätte befragen können, gibt es leider nicht. Auch kommen ihre Ärzt*in­nen als neutrale Ratgeber für sie nur be­dingt in Frage - zu wenig sind sie an den psychologischen Aspekten des Eingriffs interessiert und zu sehr auf die physischen Resultate fokussiert.

Inez De Floria-Han­sen wird bewusst, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Operation so etwas wie ein Unikat darstellt und sie quasi einen Sprung ins kalte Wasser wagen muss. Nach dem er­folgreichen Eingriff beginnt sie zielstrebig, wieder Sehen zu lernen. Ihr ist klar: Gutes Sehen bekommt sie nicht geschenkt, denn auch wenn die Hardware im Auge nun wieder intakt ist, so ist Sehen-Lernen doch vor allem ein kognitiver Prozess, der aktiv angegangen werden muss.

Reflektiert und nüchtern beschreibt sie die Resultate ihrer Bemühungen und deren Grenzen - ge­setzt durch das Gehirn. Ihr wird klar, dass sie niemals das Sehen eines schon immer Sehenden erreichen wird. Entfernungen einschätzen, zwei und dreidimensionales Sehen, Perspektiven auf Bildern erken­nen - vieles ist schwierig bis unmöglich für sie. De Florio-Hansen bleibt nicht bei der Vorstellung der harten Fakten ihrer neu­erlangten Sehfähigkeiten stehen, sondern beschäftigt sich auch mit den Auswirkun­gen des „Wieder-Sehen-Könnens“ auf ihre Beziehung zur Umwelt, zum Partner und zu Freunden, denn schon bald merkt sie, dass sich ihre Identität als blinde Frau langsam aufzulösen beginnt und sich eine neue Identität als sehende entwickelt.

Die Autorin schafft es, ein facetten- und um­fangreiches Thema interessant und span­nend aufzuarbeiten und auf gut zu lesen­den 160 Seiten zu komprimieren.
Hat mir sehr gefallen!

 

Buchcover von Christian Ohrens, Blind Dance. Das Cover ist weiß mit schwarzer Beschriftung und einem runden Fotoausschnitt eines jungen Mannes in Jeans und T-Shirt mit Langstock.

Christian Ohrens– Blind Dance

Knapper als der Klappentext kann ich die Vita des Autors auch nicht zusam­menfassen, also: „Christian Ohrens, Jahrgang 1984, verheiratet, besuchte Blindenschulen in Hannover und Mar­burg, studierte in Hamburg Medien- und Kommunikationswissenschaften und ist als Kundendienstberater bei einem Te­lekom-Unternehmen sowie als Blogger, freier Journalist und DJ tätig.“

Jetzt zum Inhalt seines Buches "Blind Dance – Erlebnisse und Gedanken eines Blinden". Ohrens ist seit neun Jahren als Blogger aktiv und veröffentlichte in die­ser Zeit viele Artikel und Essays. Das vor­liegende Buch enthält einen ausgewähl­ten Querschnitt seiner Texte, sozusagen ein „Best of“ - so steht es im Vorwort zu lesen. Und das sind seine Themen: Leben mit Behinderung, Alltag und Blindheit – hier geht es unter anderem darum, ob blinde Menschen den Wunsch verspüren sehen zu können und warum. Es folgen Mediennutzung, Echoortung, Blindismen und Ohrens Reiseberichte und -erfah­rungen als leidenschaftlicher blinder Alleinreisender. Den Schwerpunkt des Buches bilden Testberichte über die Nut­zungsbedingungen von Freizeitparks für blinde Menschen ohne sehende Beglei­tung. Des Weiteren erkundet Ohrens die Möglichkeit, an Kreuzfahrten als blinder Alleinreisender teilzunehmen. Abschlie­ßend – bevor er noch mit einer Kurzge­schichte aufwartet – beschäftigt er sich mit den Thema Inklusion, hier vor allem im Freizeitbereich.

Christian Ohrens kommt neugierig, mu­tig und kantig rüber, stets auf der Suche nach einem kleinen Kick. Beim Sturz ins Vergnügen und in Menschenmassen testet er seine Möglichkeiten aus. Wenn es um Inklusion geht, nimmt er die Per­spektive des persönlich von den durch Sehende gesetzten Grenzen Betroffenen ein. Ein virtuoser Diplomat in Sachen Inklusion möchte er nicht sein.

Einen Blog in ein Buch zu verwandeln, das kann man machen … Vor allem die ausführlichen Testberichte zu Freizeit­parks nehmen mehr als ein Drittel des Buches ein. Es ist zuweilen etwas müh­sam dranzubleiben, aber auch wieder ganz interessant, wie Ohrens mit Ge­boten und Verboten umgeht und seine Erfahrungen im letzten Teil des Buches unter dem Thema Inklusion und Freizeit verarbeitet – tja, und da kam mir der Gedanke, dass ich zu dem Thema ruhig auch einmal meinen Senf beisteuern kann. Und so ist die Idee zu winnis-wunderbaren-welt@blista.de in dieser blista-News-Ausgabe entstan­den – ein kleiner Perspektivwechsel sozusagen.