Buchtipps
Biografie: Johann König – Blinder Galerist
Wenn man mit Kunst aufwächst, strukturiert das „System“ Kunst auch die Wahrnehmung.
Johann König, 1981 in Köln geboren, ist Spross eines kunstaffinen Familienclans. Seit seiner frühesten Kindheit saugt er alles, was mit Kunst zu tun hat, auf wie ein Schwamm. Eine andere Wahl hatte er auch gar nicht. Die elterliche Wohnung in Köln ist bestückt mit zeitgenössischer Kunst. Kuratoren, Künstler und Galeristen geben sich bei seinen Eltern die Klinke in die Hand. 1988 wird sein Vater zum Direktor der Frankfurter Städelschule berufen, die Familie zieht in die Mainmetropole. Mit zwölf Jahren erblindet Johann König durch einen Unfall fast vollständig.
Ab seinem 14. Lebensjahr besucht er die blista in Marburg und macht dort sein Abitur. Doch schon währenddessen zieht es ihn immer wieder zurück in die Frankfurter Kunst-
szene. In ihm reift langsam die Idee, eine eigene Kunstgalerie zu gründen. Auf den ersten Blick, ob seines geringen Sehrests, ein wahnwitziger Einfall, aber Johann König arbeitet sich – auch gegen Widerstände - zu einem erfolgreichen Galeristen hoch. Es ist die Zeit, in der Kunst sich von einem Nischenphänomen hin zum Pop und zur Geldanlage für die Reichen dieser Welt entwickelt. Heute lebt Johann König in Berlin, mit und von der Kunst. Ein Leben ohne – für ihn wohl undenkbar.
Ja, es ist auch eine Nabelschau. Ja, man bekommt Künstler und Kunstwerke nur so um die Ohren gehauen - frei nach dem Johann-König-Motto: Man muss nicht nur Erfolg haben, sondern auch über den Erfolg sprechen, wenn man im Geschäft bleiben will. Aber das Buch bietet viel mehr. Der Leser nimmt an den Entwicklungen des modernen Kunstbetriebs und der Künstlerszene der letzten vier Jahrzehnte teil und taucht in eine Welt ein, mit der die meisten von uns nur wenige Berührungspunkte haben – am ehesten vielleicht, wenn man grübelnd über das Documenta-Gelände in Kassel schleicht und denkt: „Ist das Kunst, oder kann das weg?“ Wer sich so äußert, hat sich bereits als Außenstehender geoutet, der nicht dazu gehört, nicht versteht, was er da sieht, jemand, der Kunst nicht lesen kann, die Chiffre nicht kennt. Es ist auch eine Welt, in der extreme Kreativität auf extremen Kommerz trifft und in der an jedem Tag etwas Neues entsteht. Der Biografie gelingt es hervorragend, die Entwicklung der Person Johann König mit dem familiären Background zu verweben und in die zeitgenössische Kunst- und Kulturszene einzubetten. Dadurch werden die ausschlaggebenden Einflussfaktoren, die auf Johann König wirkten, gut sichtbar gemacht. Ein durchweg gelungenes Buch, das ich mit Mehrwert gelesen habe.
„Als die Babysitterin das Bild erblickte, sagte sie nur: ‚Ach, das kann ich auch.‘ Und ich habe ihr dann als kleiner Knirps erklärt: ‚Es geht aber nicht darum, dass man es nachmachen kann, sondern darum, dass man es zuerst macht.‘“
- „Blinder Galerist“ von Johann König kann unter der Bestellnummer 862551 in der DBH als Hörbuch ausgeliehen werden.
Thriller: Lukas Erler – Der blinde Samurei
Ein berühmtes Gemälde von Leonado da Vinci wird aus dem Tresor eines Kunstsammlers gestohlen, dabei lassen die Einbrecher eine Leiche zurück. Schon bald wird das Gemälde der Versicherung zum Rückkauf angeboten. Auf den ersten Blick: ein klarer Fall von Artnapping. Ungewöhnlich ist nur der Ermordete, geht man doch für gewöhnlich in diesem Metier wesentlich diskreter vor. Die Übergabe der Millionen, in Form eines Säckchens Diamanten, soll der blinde Kunstprofessor Cornelius Teerjong übernehmen. Der fühlt sich geschmeichelt und willigt ein. Am Ende ist nicht nur das Gemälde weg, sondern auch die Diamanten, und Teerjong hat nicht nur zwei Tote, sondern auch eine Pressemeute und die Polizei am Hals, die ihn verdächtigt, etwas mit den Morden an den beiden Artnappern, die die Übergabe abwickeln sollten, zu tun zu haben.
Der blinde Samurei ist nach „Auge um Auge“ der zweite Thriller von Lukas Erler um den spät erblindeten Kunstprofessor Teerjong. Nicht zwingend erforderlich, aber besser wäre es, zunächst den ersten Band zu lesen, um das „Breaking Bad“ des Herrn Professors würdigen zu können. Die Idee dahinter: Ein blinder Mann in den besten Jahren, der sich durch seine Erblindung entmannt und ohnmächtig fühlt, beginnt an der Rolle des harmlos wirkenden Blinden Gefallen zu finden. Um seine Grenzen auszuloten, erhöht er Risiko und Einsatz. Den zweiten Band fand ich fast noch besser, nicht nur weil Teerjong hier einen spannenden Drahtseilakt zwischen legal und illegal vollführt und die Grenze zwischen Mord und Notwehr neu zieht, sondern weil er das Thema Kunst und Kommerz aufs Korn nimmt. Da ich kurz zuvor die Biografie von Johann König gelesen hatte, passte der Thriller wie die Faust aufs Auge. „Es handelt sich also um eine Setzung, eine Behauptung, die aus einem Pissoir oder einer unappetitlich schlechten Angewohnheit Kunst macht. (…) Wir erleben also im ersten Schritt, wie ein beliebiger Gegenstand auf wundersame Weise in Kunst verwandelt wird. In einem zweiten Schritt bestaunen wir, wie er sich geradezu alchemistisch in Geld verwandelt.“.
Jugendbuch: In der Nacht hör´ ich die Sterne – Paola Peretti
„Drei Schritte: Aus dieser Entfernung kann ich mich noch im Spiegel erkennen. Der Abstand wird zunehmend kleiner: Im letzten Jahr waren es noch fünf.“
Mafalda hat für sich eine Liste von Dingen erstellt, die sie wahnsinnig gerne mag, die sie bald aber nicht mehr machen kann, weil ihr Sehrest es nicht mehr zulässt. Mafalda, die Ich-Erzählerin, ist 9 Jahre alt und ihre Augenkrankheit heißt Stargardt-Nebel. Ihren Kirschbaum auf dem Schulhof, den sie als letztes Zufluchtsdomizil ausgewählt hat, wenn die Dunkelheit sie eines Tages endgültig umhüllen wird, kann sie noch aus 140 Schritten Entfernung erkennen. Dort oben in der Krone des Baumes will sie zusammen mit ihrer verstorbenen Großmutter und Cosimo, dem Helden eines ihrer Lieblingsbücher, wohnen. Für den Umzug trifft sie bereits erste Vorbereitungen, aber noch ist es nicht soweit. Rat und Zuspruch erhält sie von Estella, der rumänischen Hausmeisterin ihrer Schule, die Mafalda auf die Suche nach dem Wesentlichen im Leben schickt. Die Autorin Paola Peretti umschifft in ihrem Roman die Ecken und Kanten des Lebens durch das kindliche, metaphysische Denken ihrer Ich-Erzählerin. Und so ist eine bittersüße, märchenhafte Geschichte mit magischen Momenten entstanden, an deren Ende Mafalda unter Mithilfe von Estella, der Königin der Amazonen, das für sie Wesentliche im Leben finden wird. Ein zauberhaftes, reales Märchen - nicht nur für Jugendliche.
Liebe Leserin, lieber Leser,
mit diesen Zeilen kann ich Ihnen hoffentlich erklären, wer ich bin. Mafalda ist der Name meiner besten Freundin, doch das kleine Mädchen, das bin ich. (…) Und außerdem werde ich bald blind: Mit meinen braunen Augen sehe ich inzwischen nur noch ein Fünftel von dem, was andere sehen.
Paola Peretti
- Das Hörbuch von Paola Peretti ist in der DBH unter der Bestellnummer 847161 ausleihbar.
Actionthriller: Andreas Pflüger - GEBLENDET
GEBLENDET ist der dritte und letzte Teil einer aufeinander aufbauenden Trilogie um die erblindete, von ihrem Vater zur Kampfmaschine ausgebildete Jenny Aaron, die mittlerweile zur Multimilliardärin mutiert ist. Das starke Geschlecht in GEBLENDET ist eindeutig weiblich. Männer haben zwar auch ihre Auftritte, aber mehr so als Opfer. Jenny Aaron ist Mitglied der „Abteilung“, einer geheimen Elitetruppe, die für die Politik die Drecksarbeit erledigt und internationalen Bösewichten den Garaus machen soll – klar, dass in so einem Setting Gut und Böse meist nur schwer zu trennen sind. Wie bereits im zweiten Band erhält sie die Chance, durch eine Therapie ihr Augenlicht zurückzubekommen, das sie durch einen Kopfschuss verloren hat. Aber wieder kommt etwas dazwischen, denn die „Abteilung“ selbst wird diesmal zum Ziel eines folgenschweren Angriffs. In einem Blutbad werden die Reihen der tapferen Recken ordentlich gelichtet. Nur ein kleines Häuflein Aufrechter bleibt übrig, das nun einem übermächtigen Gegner gegenüberzustehen scheint – aber Rache ist bekanntlich süß, und die Restmenge ist bereit, ihr Leben für die gerechte, wenn auch scheinbar aussichtslose Sache zu geben. Doch Beistand naht. Die „dunkle Seite“ von Jenny Aaron wechselt unverhofft die Seiten. Allerdings dämmert es selbst Jenny Aaron so langsam, dass es in einer Welt des Gemetzels nicht immer leicht ist, zwischen Gut und Böse, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden, jeder hat hier ja so seine nachvollziehbaren Gründe fürs Töten. Am Ende lecken die Überlebenden ihre Wunden und für die meisten wird es nun Zeit, Bilanz zu ziehen und in den wohlverdienten Ruhestand zu wechseln. Aber keine Sorge, die nächste Killergeneration steht schon in den Startlöchern – muss ja irgendwie weitergehen. Ende.
Pflüger schreibt wortgewaltig und erzählt bildhaft. Natürlich lebt dieser Actionthriller von Übertreibungen, aber wen interessiert so was in diesem Genre? Wichtig ist, dass die Geschichte plausibel und glaubhaft klingt, und hier ist Pflüger ein Meister seines Handwerks. Mit ENDGÜLTIG hat er den Actionthrillerolymp erklommen, mit NIEMALS konnte er sich auf dem Actionthrillerhochplateau halten und mit GEBLENDET findet die Geschichte um Jenny Aaron einen runden Abschluss. Mögen ihre Toten in Frieden ruhen.
Ist diese Trilogie pädagogisch wertvoll? Nein. Ist sie gewaltverherrlichend? Sag‘ ich nix zu. Aber als Entschuldigung kann man zumindest gelten machen, dass zwischendurch auch mal darüber nachgegrübelt wird, ob es immer so richtig ist, was man da so macht und ob nicht irgendwann mal Schluss damit sein müsste – aber dann taucht da wieder neues Lumpengesindel auf und da kann man wieder machen nix, ganz ohne Colt. Sprich: kein Stoff für literarische Pazifisten.
Meine beiden Lieblingszitate:
„Ich muss einem Mann nur in die Augen sehen, um zu wissen, wie viele Leben er hat. Und als ich dich zur Abteilung berufen habe, wusste ich, dass du öfter auferstehen wirst als Jesus.“„Ein perfekter Ort zum Töten. Aaron verschmilzt nicht mit der Finsternis. Sie ist die Finsternis.“ - Chuck Norris lässt grüßen!