Geschwisterseminar bei der blista-Frühförderung
von Sabine Marcus, Frühförderteam | Ende Oktober fand an der Frühförderstelle für blinde und sehbehinderte Kinder der blista das siebte Geschwisterseminar statt. Frau Winkelheide, Sozialwissenschaftlerin an der Beratungsstelle für Geschwisterkinder in Bremen und zwei Mitarbeiterinnen gestalteten für sechs Geschwisterkinder unserer Frühförderstelle im Alter von sechs bis zwölf Jahren einen spannenden Tag. Die Kinder bekamen die Gelegenheit, mit ihrer besonderen Situation, Geschwister eines behinderten Kindes zu sein, ganz im Mittelpunkt zu stehen.
Geschwisterseminare sind wichtig
Das Leben der Geschwister von Kindern mit einer Behinderung ist von besonderen Fragestellungen und Erfahrungen geprägt, die im Alltag häufig zu wenig Beachtung finden.
Die Geschwisterkinder erleben vielfach, dass ihre Eltern dem Bruder oder der Schwester mit einer Behinderung mehr Aufmerksamkeit zuwenden müssen als ihnen selbst. Sie lernen manchmal sehr früh, Rücksicht zu nehmen, Verantwortung zu übernehmen und vielleicht eigene Wünsche nach Beachtung und Aufmerksamkeit zurückzustellen, um die Eltern nicht noch stärker zu belasten.
Eltern leiden häufig ebenfalls unter dieser Situation. Sie wissen, welch hohen Anforderungen die nicht behinderten Geschwisterkinder zum Teil ausgesetzt sind und haben möglicherweise nicht immer die Kraft, ihre Kinder in der ihnen eigenen Bedürftigkeit zu sehen. Auch im weiteren Umfeld, etwa im Kindergarten oder in der Schule, kann es zu Unsicherheiten und Konflikten kommen.
Geschwisterseminare bieten den Kindern einen Rahmen und einen Raum an, in dem sie mit ihren Fragen, Unsicherheiten und Gefühlen auf einfühlsame und kom-petente Ansprechpartnerinnen stoßen, die ihre Fragen verstehen, mit ihnen gemeinsam auf die Suche nach Antworten gehen, die sie mit ihren Sorgen ernst nehmen und denen sie sich anvertrauen können. Geschwisterseminare helfen zuerst dem einzelnen Kind. Sie können darüber hinaus die Gesamtfamilie in ihrer besonderen Situation unterstützen.
Endlich einmal im Mittelpunkt
Aufgrund der Coronasituation müssen sich die Kinder in diesem Jahr schon draußen auf dem Hof von ihren Eltern verabschieden und mit den Seminarleiterinnen und Sabine Marcus in den vorbereiteten Seminarraum gehen. Fast alle sind zu Beginn sehr schüchtern, sie kennen sich nicht, kennen die Seminarleiterinnen nicht und auch Sabine Marcus ist für vier der sechs teilnehmenden Kinder eine Unbekannte. Der Raum ist wie ein Seminarraum gestaltet, mit einem Stuhlkreis und Tischen auf denen spannende Spielmaterialien und Bücher liegen. Die Spielmaterialien haben einen hohen Aufforderungscharakter, Kinder- und Jugendbücher versprechen Spannendes zu den Themen Freundschaft, Familie, Pubertät, Behinderung, Besonders-sein, Stark-sein, Schwach-sein …
Das Seminar beginnt im Stuhlkreis mit einer Vorstellungsrunde. In der Mitte liegen viele schöne Postkarten mit Tieren oder Sprüchen, von denen sich jedes Kind eine aussuchen darf, um sich mithilfe der Karte den anderen vorzustellen. Das funktioniert dann leichter als gedacht. Jedes Kind bekommt eine Seminarmappe (eine kleine bunte flache Tasche zum Sammeln der vielen schönen Postkarten, von denen es im Laufe des Tages noch mehr geben sollte), einen „Seminarrucksack“ (mit darauf abgebildetem Lama), Leuchtkugelschreiber, Leuchtkreisel. All die kleinen Gegenstände sollen symbolisieren und zeigen, dass es heute nur um sie, die Geschwister geht, sollen ihnen ihre Aufregung nehmen. Die Kinder finden das cool; mit Geschenken haben sie nicht gerechnet, und eine aufgeregte neugierige Stimmung ist zu spüren. Nach Vorstellungsrunde gibt es eine Pause, die Kinder dürfen sich etwas zu trinken holen und eine Dose mit Süßigkeiten füllen.
Das älteste Mädchen bekommt eine besondere Rolle: Sie darf nach allen Seminarpausen mit einer Glocke die Kinder wieder „zusammenläuten“. Bis zur Mittagspause folgt eine Einheit, in der die Kinder von ihren Familien erzählen können. Der Nachmittag ist strukturiert durch Gespräche, in denen die Kinder mit Hilfe von Symbolen über sich, über ihre Familie und ihre Rolle in der Familie sprechen können. Die Symbole, die beim Erzählen helfen, sind etwa ein Kreisel, der ein fröhliches, ein trauriges und ein zerknirschtes Gesicht zeigen kann, ein Leuchtkreisel, eine Tierpostkarte mit einem 3-D-Bild, das so aussieht, als würde das Tier sich bewegen, um in einen Austausch zu kommen. Alles darf, nichts muss erzählt werden.
Am Ende finden alle Kinder das Seminar gut, fühlten sich reich beschenkt und manche sind traurig, dass es zu Ende ist. Ganz zum Schluss schmückt jedes Kind seinen Stuhl mit seinen Schätzen. Die Eltern werden nacheinander hineingeholt und dürfen die Sammlungen bestaunen. Alle Kinder werden in den kommenden Wochen Post mit Fotos und einem Bericht vom Seminartag erhalten. Den Eltern wird ein Beratungsangebot gemacht, wenn sie das wünschen. So kann der Seminartag in Erinnerung bleiben und die eine oder andere Familie nachhaltig stärken.
Ein großes Dankeschön geht an die "Zukunftsstiftung Bildung", die mit ihrer Zuwendung aus dem Fonds "Freischwimmen21" dieses Seminar ermöglicht hat.