Menschen
Um die Häuser ziehen
Thorsten Büchner * Bereits in ihrem sechswöchigen Praktikum, das Moni Vestweber im Rahmen ihrer Erzieher-Ausbildung an der blista absolvierte, war sie sich sicher, dass sie „gerne hier arbeiten“ würde. Das war im Jahr 1983. „Mich hat so beeindruckt, wie fit und selbstständig die Jugendlichen waren. Ich hatte mir das damals ganz anders vorgestellt.“ Nach ihrem Anerkennungsjahr konnte Moni Pfeffer, wie sie damals noch hieß, jedoch erst einmal nicht übernommen werden und so nahm sie eine Tätigkeit an einer anderen Marburger Internatsschule auf. „Da waren die Bedingungen ganz anders. Ich war mit einer Kollegin für 40 Mädels zuständig und wohnte auch permanent mit den Schülern im selben Haus.“ Nach einem Jahr bot sich jedoch die Chance, an die blista zurückzukehren, in das gleiche Betreuerteam, bei dem Vestweber auch ihr Anerkennungsjahr verbracht hatte.
Knapp 30 Jahre hat Moni Vestweber im Internat der blista gearbeitet. „In dieser langen Zeit hat sich viel verändert. Ich mich selbst, aber auch das Umfeld.“ War sie zu Anfang ihrer blista-Zeit nur ein paar Jahre älter als die zu betreuenden Jugendlichen, ist sie nach und nach ins Alter der Eltern und „in den letzten Jahren sogar schon näher an das Alter der Großeltern“ herangerückt. „Früher, gerade in meiner Zeit in der Wohngruppe Nikolaistraße in der Marburger Oberstadt, sind wir auch manchmal mit den Schülern um die Häuser gezogen“, erinnert sie sich. Das war dann später völlig anders. „Nicht nur, weil wir selbst älter wurden oder das nicht mehr als pädagogisch unbedingt sinnvoll erachtet haben. Das Zusammenleben in den Wohngruppen hat sich auch sehr verändert in den 30 Jahren meiner Internatsarbeit.“
Zu Beginn arbeitete Vestweber in einer sogenannten „AWG“, in der die Schüler frühestens zur neunten Klasse einzogen und die nach Jahrgangsstufe 11 beendet war, weil danach der Wechsel in die Selbstständigen-Wohngruppe anstand. Dann, etwa Anfang der 1990er Jahre, wurde das Fünfjahres-Konzept eingeführt, bei dem die Schüler von der siebten bis zur elften Klasse in ein und derselben WG wohnen sollten. „Unser Team war damals ziemlich stark gegen dieses Konzept, weil wir der Meinung waren, dass es weder für die Jugendlichen, noch für die Betreuer gut war.“ In dieser Zeit kam Vestweber sich manchmal vor wie ein „Dompteur“, wenn es darum ging, acht pubertierende Siebtklässler im Zaum zu halten. „Unsere Schüler hatten dann rund um die Uhr die gleichen Leute um sich. Morgens in der Klasse und abends in der WG.“
Nach langjährigen, intensiven Diskussionen und einer erfolgreichen Probephase, die in Vestwebers Wohngruppe in der Liebigstraße durchgeführt wurde, entstand das heutige Wohngruppenkonzept „Altersgemischte Gruppen von Klasse 7 an“.
„Ich habe total gerne im Internat gearbeitet, mit meinen Kollegen und vor allen Dingen in so intensivem Kontakt mit den Schülern.“ Irgendwann, so erinnert sich Vestweber, habe sie aber mehr und mehr Lust verspürt, sich nochmal eine neue Herausforderung zu suchen. „Ich hab eigentlich immer da mitgemacht, wo es ressortübergreifende Arbeitsgruppen gab. Mich haben die anderen Abteilungen der blista immer sehr stark interessiert.“ So war Vestweber über viele Jahre auch festes Redaktionsmitglied der blista-news. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich habe in dieser Zeit auch einiges über die Arbeit im RES erfahren. Und so nahm Moni Vestweber das Angebot an, sich an der blista zur Reha-Lehrerin für Blinde und Sehbehinderte ausbilden zu lassen. „Welche Bedeutung LPF und O&M für unsere Schüler haben, konnte ich in den WGs ja hautnah beobachten.“
Die 18 Monate umfassende Vollzeitausbildung forderte Vestweber einiges ab. „Nach 30 Jahren wieder die Schulbank zu drücken, war schon nicht ganz ohne“, lacht sie. Außerdem wollte sie „wenn ich schon diese Ausbildung mache, dann auch unbedingt in diesem Bereich arbeiten.“ Augenheilkunde, Wahrnehmungspsychologie und unzählige Stunden Eigenerfahrung unter der Augenbinde waren feste Bestandteile ihrer Ausbildung. Jetzt zieht sie wieder mit ihren Schülern um die Häuser. Diesmal aber, um ihre Schülerinnen und Schüler in „Orientierung & Mobilität“ (O&M) sowie „Lebenspraktischen Fähigkeiten“ (LPF) zu unterrichten. „Das Besondere für mich dabei ist, dass ich mich im Unterricht voll und ganz, für 90 Minuten, auf meinen Schüler konzentriere und intensiv mit ihm arbeite. Das ist der größte Unterschied zur Zeit im Internat. Da habe ich oft viele Dinge gleichzeitig gemacht.“
Beim Unterrichten in LPF und O&M bereitet sich Vestweber ausführlich auf jede Stunde vor. „Ich überlege mir dann die nächsten Schritte und schaue, etwa wenn ich Wegstrecken selbst nicht so gut kenne, wo für meine Schülerin, meinen Schüler, potentielle Schwierigkeiten lauern könnten.“ Das unmittelbare Erfolgserlebnis, das sich manchmal schnell, manchmal auch nur in kleinen, unscheinbaren Schritten, einstellt, ist das, was Vestweber so gut gefällt an ihrer Tätigkeit als Reha-Lehrerin: „Wenn ein Fünftklässler freudestrahlend in die WG zurückkommt, weil er jetzt endlich den Weg zum Süßigkeiten-Geschäft in der Oberstadt allein gehen kann.“
[*Öffentlichkeitsarbeit, Foto: privat]