Buchtipps J. Ciplak + R. Keintzel
Jasmin Ciplak – Mit dem Blindenstock nach Togo
Für Jasmin, weiblich, anfangs noch ledig, jung, soll es nach dem Abi 2018 an einer Regelschule im Rahmen eines Freiwilligendienstes für ein Jahr nach Togo gehen.
Mit im Gepäck eine progressive Augenerkrankung. In Togo selbst ist ihr Ziel Balanka, eine im Süden des Landes gelegene Ortschaft mit etwas mehr als 8000 Einwohner*innen, die auch für togolesische Verhältnisse noch wenig an die moderne Welt angeschlossen ist und dadurch so einige westliche Annehmlichkeiten vermissen lässt, die für uns selbstverständlich geworden sind. Hier soll Jasmin bei einer Gastfamilie leben und in der örtlichen Bibliothek aushelfen. Was nun folgt, ist eine flott geschriebene Lektüre über ihren persönlichen Umgang mit einer für sie völlig fremden Kultur und Religion, über anfängliche Verständigungsprobleme und Missverständnisse, über Malaria, Haut- und Magen- Darm-Erkrankungen, über die Hitze, die Regenzeit und, und, und. Zu einem ganz besonderen „Erlebnis“ wird das Jahr in Togo für Jasmin aber auch durch ihre Seheinschränkung, mit der sie in diesem Jahr umzugehen und die sie immer besser in ihre Persönlichkeit zu integrieren lernt. Durch die Erfahrungen in diesem Jahr tankt Jasmin viel Selbstbewusstsein, vielleicht oder gerade auch weil sie lernwillig und mutig ist und eine nicht urteilende, kulturelle Offenheit an den Tag legt. Nach einem etwas holprigen Start, Heimweh und einigen Irritationen taucht sie entschlossen in den afrikanischen Alltag ein und hat dabei erstaunlich wenig Berührungsängste. Respekt! Mir, als hartgesottenem Anhänger westlicher Annehmlichkeiten rollten sich beim Lesen des Öfteren die Fußnägel hoch. Aber das ist nur die eine Hälfte der Geschichte. Die andere erzählt davon, was es heißt, ohne große Erfahrungen im Umgang mit deutschen Ämtern und Behörden von Togo aus Hilfsmittel, Studienplatz und eine Unterkunft organisieren zu wollen.
Togolesische Wildnis meets deutschen Bürokratiedschungel. Also, alles drin in diesem „Reisebericht“ von Jasmin Ciplak. Und? Lust auf ein Auslandsjahr in Afrika bekommen? Besser vielleicht erstmal dieses Buch lesen, denn ein Spaziergang wird so ein Jahr nicht unbedingt.
Eine Geschichte der Menschen mit Behinderung (in der Antike) – Robert Ralf Keintzel
Behinderung in der Antike. 1000 Jahre griechisch-römische Geschichte. Leider wurde weder eine zeitliche noch eine begriffliche Eingrenzung von Keintzel vorgenommen. Als Behinderung gilt hier alles was von der Norm des Adonis, also eines in vollem Saft stehenden Jünglings abweicht. Taube, Stumme, Stotterer, Blinde, Krüppel, Gichtgeplagte, Depressive, Kriegsversehrte, geistig Zurückgebliebene, Alte und Frauen – Unterschiede werden kaum gemacht. Keinztel beschreibt die Veränderungen des Blicks auf und den Umgang mit Beeinträchtigungen im Laufe der Zeit, u.a. in den Bereichen Medizin, Religion, Philosophie und im Rechtswesen. Er weist auf den Unterschied zwischen philosophischer Theorie und alltäglicher Praxis im Umgang mit Beeinträchtigten ebenso hin wie darauf, dass widersprechende Ansichten parallel existierten und sich im Laufe der Zeit auch veränderten. So schreibt Seneca: „… Missgeburten löschen wir aus, und auch unsere Kinder ertränken wir, wenn sie zu schwach oder mit schweren Fehlbildungen zur Welt kommen. Das Nutzlose so vom Gesunden zu trennen ist keine Wut, sondern Vernunft.“ Anders Marc Aurel: er versuchte, Menschen mit körperlichen Gebrechen zu helfen, anstatt sie auszugrenzen, so Keintzel. Im Römischen Recht wurde Menschen mit geistiger Einschränkung, ganz modern, die Schuldfähigkeit für ihr Handeln abgesprochen. War ihr Handeln gemeingefährlich, galt für sie eine Art Sicherheitsverwahrung – sie wurden in Ketten gelegt.
Das Buch ist durchaus informativ und man bekommt einen Überblick über das Thema Behinderung in der Antike sowie die Entstehung einer systematischen Herangehensweise an das Thema Krankheit, wobei man dies nicht mit der modernen wissenschaftlichen Herangehensweise verwechseln darf. Großen Einfluss auf das Denken in dieser Epoche hatte die Verletzlichkeit des Körpers ohne die Fähigkeit in vielen Bereichen wirklich helfen zu können. Die Einstellung zu Menschen mit Behinderung wurde natürlich auch davon beeinflusst, dass in der Antike die Verfügbarkeit von Ressourcen überwiegend von der Muskelkraft der Menschen und Tiere abhing. Ein einheitliches, geschlossenes Bild von Behinderung in der Antike zeichnete sich nicht ab, dazu ist die Zeitspanne zu groß, der Begriff zu wenig definiert und die Quellenlage, vor allem in der vorchristlichen Zeit, zu dünn. Auch erfahren wir so zwar einiges über die Gedanken der kleinen Oberschicht zum Thema Krankheit und Behinderung, aber was das Volk so dachte und vor allem wie es im Alltag mit Behinderten umgegangen ist, davon wissen wir wenig.
Resümee: nicht schlecht, aber vielleicht wäre weniger mehr gewesen.