Autofahren für Blinde und Sehbehinderte – wie soll das denn funktionieren?
Elke Averesch* | Wenn man mit dem Auto unterwegs ist, können manchmal vom Fahrer Sprüche wie „ja, ist denn der blind“ oder „mach doch die Augen auf“ kommen. „So ein Quatsch“, mag man sich hier denken, denn welcher Blinde würde sich schon freiwillig hinters Steuer setzen, schließlich wissen alle, wie komplex der Straßenverkehr ist.
Ende September in Stadtallendorf war es dann allerdings soweit. Ganz freiwillig wagten Schülerinnen und Schüler der blista und auch ein paar Ehemalige, wie zum Beispiel ich, ihre erste Fahrstunde. Ich kam mit meinem Begleiter, Holger Reising, der über einen Freund vom Autofahren für Blinde erfahren hatte, gegen 10 Uhr auf dem Gelände der Herrenwaldkaserne in Stadtallendorf an. Dieser Freund, Marcel Adler, war ebenfalls vor Ort und zwar als einer von vielen Fahrlehrern, die bereit waren, die blinden und sehbehinderten Fahranfänger bei ihrer ersten Fahrstunde zu unterstützen. Nach einer kurzen Einweisung, was man außer Autofahren noch auf dem Gelände machen kann, ging es für mich gleich los, denn zu dem Zeitpunkt wollte ich es einfach nur hinter mich bringen und hatte auch ein mulmiges Gefühl. Nach einer Grundeinweisung für mich als blutige Anfängerin durch Marcel zu zum Beispiel den diversen Pedalen und Anzeigetafeln, ging es zunächst einmal darum, das Auto überhaupt in Gang zu bringen und im nächsten Schritt sicher vom Parkplatz zu bewegen, möglichst ohne ein Motorrad des ebenfalls anwesenden Motorradclubs „Kuhle Wampe“ auf die Motorhaube zu nehmen. Nachdem dies gelungen war, wollte ich auch einmal aufs Gas treten, nur wenn man Geschwindigkeit erlangen will, muss man auch schalten und evtl. auch mal bremsen. Beim Bremsen war ich sehr überrascht, wie wenig man auf das Pedal treten muss, um eine Reaktion zu erhalten, und es bedurfte einiger Anläufe, bis mir eine halbwegs „butterweiche“ Bremsung gelang. Die ca. 1,5 km lange Strecke war ausreichend lang, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es sich anfühlt, ein paar Pferdestärken kontrollieren zu wollen. Auch wenn das Fahrtraining unter vereinfachten Bedingungen stattfand, habe ich zunächst Blut und Wasser geschwitzt, wurde aber gegen Ende der Fahrt auch ein wenig sicherer. Vor der Fahrt wurde mir gesagt, dass alle bisherigen Fahrer angespannt ins Auto gestiegen seien, aber am Ende mit einem breiten Grinsen wieder ausgestiegen wären. Ich hoffe, dass war auch bei mir der Fall und dass ich mich nicht komplett „zum Affen“ gemacht habe. Im anschließenden Gespräch mit meinem Fahrlehrer Marcel erfuhr ich auch, dass er den Eindruck habe, dass Blinde häufig gefühlvoller führen als sehende Fahranfänger. Auch Holger, der während meiner Fahrt im Fond platznahm, musste sein Testament noch nicht machen.
Im Anschluss an die Autofahrt haben wir noch zwei Simulatoren ausprobiert – einen für einen Überschlag, bei dem man sich kopfüber in den Gurten hängend aus selbigen befreien musste – natürlich möglichst ohne sich dabei weh zu tun. Der zweite Simulator hat mich sehr beeindruckt, denn hier fuhr man mit 7 km/h auf ein bewegliches Hindernis. Die Kräfte, die auf einen einwirkten, waren enorm. Wenn man bedenkt, dass man in jedem Wohngebiet 30 km/h fahren darf, ist das schon ein wenig beängstigend.
Ich hoffe, dass es eine weitere Auflage des „Autofahrens für Blinde und Sehbehinderte“ gibt, denn es hat sehr viel Spaß gemacht. Die Kooperationspartner dieses spannenden Erlebnistages engagierten sich allesamt unentgeltlich für diese Sache: die Marburger Fahrschule Fahrwerk und der hessische Fahrlehrerverband, der Motorradklub „Kuhle Wampe“ und die Interessensgemeinschaft Quadkinder.com. Die Schirmherrschaft der Veranstaltung hatte der Kreisverband der Verkehrswacht Hessen übernommen.
[Foto: Dr. Imke Troltenier]